Raum 2

Zentren und Organisationen

Mit welcher Motivation organisierten sich LSBTIAQ*?

Mit welcher Motivation organisierten sich LSBTIAQ*?

Themen in diesem Raum…

Schwulengruppen

Frauen-/Lesben-zentren

Frauenprojekte

Wald­schlösschen

Aidshilfe

Schwulenzentrum

Kulturtage

Queeres Zentrum

Schwulengruppen

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Ab 1971 gründeten sich in vielen deutschen Universitätsstädten Schwulengruppen, häufig nach einer Diskussion zu dem Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt von Rosa von Praunheim und Martin Dannecker.
In Göttingen war es erst am 17. Mai 1972 soweit: Die Initiativgruppe Homosexualität Göttingen (IHG) formierte sich. Bald darauf kam es zu einer Spaltung. Die eher politischen Schwulen (Gesellschaftsveränderer) gründeten die Homosexuelle Aktion Göttingen (HAG). Diese etablierte sich, während die Rest-IHG (Integrationisten) bald nach der Spaltung einging.

Die HAG war viele Jahre in Göttingen die einzige Schwulengruppe. Ab 1983 differenzierte sich die Bewegung – in größeren Städten war dieser Prozess schon viel früher eingetreten. Andere Gruppen kamen hinzu, z.B. Homosexuelle und Kirche, Aidshilfe, AStA-Schwulenreferat. Die Bedeutung der HAG ließ nach. Sie existierte noch bis 1991. Die zuletzt genutzten Räume wurden der schwulen Freizeitgruppe Gay Urban Progressive People (Guppies) überlassen. Heute gibt es nur noch Face to Face als einzige rein schwule Gruppe.

Frauen-/Lesben-Zentren

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1971 bildeten sich die ersten Frauengruppen in Göttingen zum Thema § 218 (Schwangerschaftsabbruch). Aus regelmäßigen Frauen-Plenen ab 1973 ging die Gründung des Sozialistischen Frauenzentrums in der Roten Straße 40 hervor, das am 11.07.1974 eröffnet wurde.

Nach der Kündigung der Räume im Herbst 1978 zog das Frauenzentrum (inzwischen ohne das Adjektiv „sozialistisch“) 1979 in die Kurze-Geismar-Straße 24. Auch diesem Frauenzentrum wurde gekündigt; die Räume wurden zum 01.01.1987 geräumt. Im März 1987 wurde daraufhin die Rosa Villa in der Bürgerstraße 12 kurzzeitig besetzt.

Zwar fand im Rat der Stadt Göttingen der Antrag eine Mehrheit, Ersatzräume zur Verfügung zu stellen und das Zentrum zu bezuschussen, aber erst 1988 wurden neue Räume in der Düsteren Straße 21 gefunden. Im Januar zog das FrauenLesbenZentrum ein, das von autonomen Frauen/Lesben belebt wurde. Anfang 1992 gab es die nächste Kündigung zum 30.06.1992. Danach zogen die Frauen/Lesben jedoch nicht aus, sondern besetzten das Haus und und verließen es erst kurz bevor es am 09.08.1993 durch die Polizei gewaltsam geräumt worden wäre. 1996 fand eine zweimonatige Besetzung des Vorderhauses des alten Zentrums statt, die jedoch keinen Erfolg hatte.

Frauenprojekte in Göttingen

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Ende der 1970er und dann vor allem in den 1980er Jahren wurden im Rahmen der Frauen*Lesben*bewegungen zunehmend sogenannte ‚autonome Frauenprojekte‘ gegründet. Diese konnten teilweise bereits aus – hart erkämpfter, aber auch intern umstrittener – ‚Staatsknete‘ finanziert werden. Autonome Frauenprojekte wiesen viele feministisch-aktivistische Elemente und Organisationsstrukturen auf.

Im Kontext der Gründung von autonomen Frauenprojekten kam es ab Mitte der 1980er Jahre auch zu einer Konsolidierung, Institutionalisierung und Professionalisierung feministischer Anti-Gewalt-, Bildungs-, Therapie- und Beratungskonzepte.

Der Fokus lag besonders auf der Unterstützung und dem Empowerment von Frauen* und/oder Lesben*, die von struktureller sozialer wie psychischer Gewalt/Prekarisierung oder sexualisierter wie häuslicher Gewalt betroffen waren. Außerdem sollten (entlohnte) Arbeitsplätze geschaffen werden, in denen (feministische) Frauen*/Lesben* für Frauen*/Lesben* tätig werden konnten.

Sieben der zwischen 1977 und 1990 in Göttingen gegründeten Frauenprojekte bestehen weiterhin und werden hier kurz vorgestellt. Lediglich das Lesben-Telefon wurde 2008 eingestellt.

Gründungsjahre der Frauenprojekte in Göttingen

1977
1977

LAURA Frauen- und Kinderbuchladen

1980
1980

Frauenhaus Göttingen

1982
1982

Frauengesundheitszentrum und Beratungseinrichtung für Frauen und Mädchen (heute: FGZ Cara e.V.)

1984
1984

Therapeutische Frauenberatung Göttingen

1988
1988

Frauen-Notruf

1988
1988

Lesbentelefon (bis 2008)

1989
1989

Frauen-Zimmer e.V. – Ambulante pädagogisch-therapeutische Hilfen für Frauen

1990
1990

Kore e.V. – Frauen*bildung, Sozialberatung, Mädchen*arbeit

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Broschüre: Frauen- und Mädchenprojekte

In Göttingen gründeten sich seit Ende der 1970er Jahre mehrere Frauenprojekte. Den Anfang machte der Frauen- und Kinderbuchladen LAURA 1977, dann folgte 1980 das Frauenhaus Göttingen, 1982 das Frauengesundheitszentrum und die Beratungseinrichtung für Frauen und Mädchen (heute FGZ Cara e.V.), 1984 die Therapeutische Frauenberatung Göttingen. 1988 wurden im Kontext des im selben Jahr gegründeten Frauen-Lesben-Zentrums (FLZ) in der Düsteren Straße 21 ein Frauen-Notruf und ein Lesbentelefon eingerichtet. 1989 erfolgte dann die Gründung von Frauen-Zimmer e.V.Ambulante pädagogisch-therapeutische Hilfen für Frauen sowie 1990 von Kore e.V. – Frauenbildung, Sozialberatung, Mädchenarbeit. Während die drei Frauen-/Lesben-Zentren nacheinander für drei bis sieben Jahre Bestand hatten, existieren alle genannten Frauen-/Mädchen-Organisationen (außer das Lesbentelefon) bis heute und arbeiten in professionellen, institutionellen Strukturen.

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LAURA Frauen- und Kinderbuchladen

„Also von der Gründung weiß ich gar nichts. Da war
ich noch gar nicht dabei und weiß nicht, wie die
Stimmung da war. Da war der Laden auch noch in der
alten Lokalität, der Burgstraße 3 und viel kleiner als jetzt
und hatte ein anderes Konzept. Dort gab es einen extra
Frauenraum bis ca. 1999. Dann ist der Laden hier in die
Burgstraße 21 umgezogen. Im alten Laden gab es einen
relativ kleinen Verkaufsraum und ein zweiter Raum war
ausschließlich Frauenraum. Also da durften keine
Männer rein. Da gab es auch diese Leih-Bibliothek
und da konnte man sich austauschen.

Stephanie Nöttger, in: Radikarla* (Uni-Frauen-
Lesbenzeitung), Nr. 10/2020

Waldschlösschen

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Anfang 1981 wurde das ehemalige Kurhotel und Ausflugslokal Waldschlösschen von Ulli Klaum, Rainer Marbach und Joachim Prüß übernommen, um hier die Idee eines ‚Freien Tagungshauses‘ mit einem Schwerpunkt auf schwule Gruppen zu verwirklichen. Bald musste das Haus gekauft werden, um den großen Sanierungsstau beheben zu können.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Waldschlösschen zu einer national, teilweise sogar international bekannten Akademie mit verschiedenen Schwerpunkten, z. B. Angeboten für Schwule und Lesben, für bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche Menschen und

ihre Lebenspartner*innen und Familien, für HIV-positive und an Aids erkrankte Menschen und ihre Lebenspartner*innen, Fortbildungsveranstaltungen zu Aids und sexualpädagogischen Themen sowie Seminare für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung.

Ein großer (emanzipations-)politischer Schritt war 1999 die staatliche Anerkennung als Heimvolkshochschule. 2003 wurde das Waldschlösschen in eine gemeinnützige Stiftung überführt. Heute ist das Waldschlösschen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Landkreis Göttingen. Jedes Jahr werden etwa 300 Seminare durchgeführt. Im Haus arbeiten insgesamt 30 Mitarbeiter*innen.

Chronik Waldschlösschen

1982 (Queeres Archiv Göttingen)

1981
1981

Gründung des „Freien Tagungshauses Waldschlösschen“ als Bildungs- und Begegnungsstätte

1982
1982

Erstes Ostertreffen zusammen mit Göttinger Schwulengruppe

1982
1982

Beginn des Kulturprogrammes „Theater im Waldschlösschen“

1984
1984

Erstes Jahres-Seminarprogramm der Bildungsstätte

1986
1986

Beginn Aids-Weiterbildung im hauseigenen „Bildungswerk Aids und Gesellschaft“ sowie der Treffen für Menschen mit HIV und Aids

1987
1987

Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth besucht erstmals Positiventreffen im Waldschlösschen

1990/91
1990/91

Neubau Waldhaus

1992
1992

Beginn der staatlich geförderten Weiterbildung für Schwule und Lesben

1999
1999

Staatliche Anerkennung als Heimvolkshochschule nach dem Niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetz

2000
2000

Umbenennung in „Akademie Waldschlösschen“

2002/03
2002/03

Umfassende Sanierung und Umbau des Altbaus

2003
2003

Gründung der Stiftung Akademie Waldschlösschen

2008
2008

Neubau Gartenhaus

2021
2021

Beginn Generationswechsel in der Leitung des Waldschlösschens

2023
2023

Neubauprojekt Berghaus

Kultur im Waldschlösschen
Theater im Waldschlösschen: 1983 Hilde und Rosa Gänseliesel

Auswahl an Theaterveranstaltungen im Waldschlösschen in den 80er und 90er Jahren

1981
1981

„Familie Schmidt – aufrecht, deutsch, homosexuell“ mit „Wetten, das ist Frau Witten“

1982
1982

Ernie Reinhardt: Abschiednehmen

1982
1982

Georgette Dee und Terry Truck mit „Inkognito“

1983
1983

Keßler-Zwillinge aus Hamburg

1984
1984

Miki Malör mit „An einem Tag wie diesem“ – Musiktheater

1985
1985

Aprilfrisch (Hamburg)

1987
1987

Ladies Neid – Erstes Tuntenensemble Berlin

1989
1989

Sweetbeats (HH) featuring Pelle Pershing (Köln)

1990
1990

„Sweatbeat goes Heaven“ featuring Marlene Jaschke

1992
1992

„und der Himmel hängt voller Geigen“ – Abschlussfest zum „Schwulen Mai“ in Göttingen (mit Rosenstolz, Tim Fischer, Rainer Bielfeldt)

1994
1994

Tim Fischer mit „… und habt mich gern“

Göttinger Aidshilfe

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Anfang der 1980er Jahre kamen zuerst spärliche, dann immer häufigere Meldungen aus den USA über eine neue tödliche Krankheit, die fast ausschließlich Schwule betreffen sollte. Wie überall in Deutschland waren auch die Schwulen in Göttingen zunehmend verunsichert. Niemand wusste genau Bescheid. Allmählich begannen viele Schwule, ihr Sexualverhalten zu ändern und Kondome zu verwenden.

Ende 1984 wurde die Göttinger Aidshilfe gegründet – zuerst als lose Gruppe, dann im September 1985 als eingetragener Verein. Am 01.05.1988 bezog die Aidshilfe ein renoviertes kleines Haus in der Oberen Karspüle 14, das die Stadt zur Verfügung gestellt hatte.

Die Aidshilfe etablierte sich schnell zu einer anerkannten Beratungsstelle zu allen Fragen rund um HIV/Aids. Mit der Zeit nahmen Krankheits- und Sterbebegleitung zunehmend Raum ein.

Im Zeitalter der wirksamen HIV-Therapie engagiert sich die Aidshilfe heute vor allem für ein diskriminierungsfreies Leben mit HIV, für selbstbestimmte Sexualität sowie für die Gleichstellung vielfältiger Lebensweisen. Arbeitsschwerpunkte sind Test- und Beratungsangebote sowie Prävention. Seit 2022 heißt der Verein Göttinger Aidshilfe – Anlaufstelle für sexuelle Gesundheit.

Broschüre: 25 Jahre Göttinger AIDS-Hilfe

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Göttinger Schwulenzentrum

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Anfang der 1990er Jahre kam unter den Göttinger Schwulen die Idee auf, ein Zentrum zu gründen. Zu jener Zeit gab es sehr viele schwule Aktivitäten, und die Zeit war günstig, weil in diesem Bereich kein kommerzielles Angebot existierte. Nach Gründung eines Trägervereins 1992 bedurfte es jedoch mehrerer Anläufe, um geeignete Räumlichkeiten in der Immanuel-Kant-Straße 1 zu finden.

Am 24.01.1994 wurde das Zentrum unter Beteiligung u.a. des Niedersächsischen Sozialministers eingeweiht. Das Schwulenzentrum entwickelte sich zu einem florierenden Treffpunkt.

Das Beratungstelefon und die schwule Literaturgruppe zogen ins Zentrum ein. Neue Gruppen, wie die Bi-Gruppe und der schwule Chor, gründeten sich. Auch einige Lesben engagierten sich im Zentrum.

Der Niedergang kam, weil eine neue kommerzielle Bar eröffnete. Das ehrenamtliche Engagement ging zurück, und die Einnahmen konnten bald die Kosten nicht mehr decken. 1996 musste das Schwulenzentrum geschlossen werden.

Danach gab es in Göttingen längere Zeit keine schwule Gruppe mehr. Erst Anfang der 2000er Jahre gründeten sich neue Gruppen.

Kulturtage

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Im Jahr 1995 stellten Schwule und Lesben zum ersten Mal ein gemeinsames Veranstaltungsprogramm auf die Beine – die schwul-lesbischen Kulturtage mit sieben Veranstaltungen über zwei Wochen. Lesben und Schwule waren zuvor hauptsächlich in getrennten Strukturen aktiv, z.B. beim Schwulen Mai (1992, 1993) oder bei der Lesbenwoche (1983, 1988); für bisexuelle Menschen und weitere Identitäten gab es auf beiden Seiten wenig Raum.

Die LesBiSchwulen* KULTURTAGE sind die längste und älteste queer-kulturpolitische Veranstaltungsreihe in der Region, und sie fanden bisher 24-mal statt – mit einer Corona-bedingten Unterbrechung 2020.

Jährlich, im Herbst bieten sie über etwa vier Wochen ein abwechslungsreiches Programm mit meist über 30 Veranstaltungen, an dem sich bis zu 25 Gruppen und Einrichtungen als Mitveranstalter*innen oder Unterstützer*innen beteiligen.

Das Kulturtage-Koordinationsteam war über lange Zeit selbstverwaltet und großteils ehrenamtlich organisiert. Seit 2004 konnte das Team die Räumlichkeiten sowie hauptamtliche Unterstützung der Göttinger Aids-Hilfe nutzen. 2018 wanderten die Kulturtage unter das Dach des Queeren Zentrums Göttingen. Das 25-jährige Jubiläum wurde 2022 mit einer Namensänderung gefeiert: Die Queeren KULTURTAGE waren da.

Queeres Zentrum Göttingen

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2014 entstand im Kulturtage-Orgateam die Vision, in Göttingen ein queeres Zentrum aufzubauen: Für queere Belange sollte ein sicher finanzierter eigener Ort mit bezahlter professioneller Arbeit geschaffen werden, wie z.B. bereits zuvor in Hannover und Braunschweig.

Nach einer Impulsveranstaltung während der Kulturtage 2015 bildete sich eine große Planungsgruppe. Am 13.07.2016 wurde der Verein Queeres Göttingen e.V. gegründet.

Mithilfe einer größeren Fördersumme im Rahmen der Kampagne Für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt* in Niedersachsen und erster Zuschüsse von Stadt und Landkreis Göttingen erfolgte zum 15.10.2017 die Einrichtung der hauptamtlichen Koordinierungsstelle

und die Anmietung einer Immobilie in der Hannoverschen Straße 80 (Anfang 2018). Zum 01.01.2022 zog das Queere Zentrum Göttingen (QZG) in größere Räumlichkeiten in die Hospitalstraße 20 um.

Das QZG hat sich mit einer Vielzahl von Beratungs-, Gruppen- und Netzwerkstrukturen, soziokultureller und politischer Arbeit sowie Angeboten für Multiplikator*innen fest etabliert. Die Basis dafür bildet ein wachsender Verein mit rund 100 aktiven Ehrenamtlichen sowie einem engagierten haupt- und nebenberuflichen Team.